Kaum ein arbeitsrechtliches Thema ist so brisant wie das Urlaubsrecht. Nachdem es in den letzten Jahren bereits Entscheidungen zum Verfall von nicht genommenen Urlaubstagen sowie zum Urlaubsanspruch bei Langzeiterkrankung gab, wurde nun eine Entscheidung des EuGH [C-120/21] zur Verjährung des Urlaubsanspruchs veröffentlicht.
Ausgangsfall
Ausgangspunkt dieser Entscheidung war hierbei die Klage einer Arbeitnehmerin, welche von 1996 bis 2017 für die Beklagte als Steuerfachangestellte tätig war. Nachdem das Arbeitsverhältnis Ende Juli 2017 beendet wurde, klagte die Arbeitnehmerin nun also auf Abgeltung ihres nicht genommenen Jahresurlaubs der Jahre 2013 bis 2017 - in Höhe von 101 bezahlten Urlaubstagen. Ihren Urlaub konnte sie aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in dieser Zeit nicht vollständig wahrnehmen. Eine Aufforderung den Urlaub wahrzunehmen oder ein Hinweis auf den drohenden Verfall der Urlaubstage erfolgte durch die Beklagte nicht. Die Beklagte lehnte die Zahlung ab und erhob unter anderem die Einrede der Verjährung.
Die erste Instanz sah dabei einen Urlaubsanspruch für das Jahr 2017 teilweise als begründet an, bezüglich der Jahre 2013 bis 2016 wurde die Klage jedoch abgewiesen. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin weitere 76 Urlaubstage zu, weil die Beklagte ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen war. So könne weder von einem Verfall, noch von einer Verjährung der Ansprüche ausgegangen werden. In der Folge legte die Beklagte die Revision zum Bundesarbeitsgericht ein, welches wiederrum die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.
Problematik
Es ging hierbei vor allem um die Frage, ob die deutschen Regelungen zur Verjährung (§§ 194 Abs.1 ff. BGB) mit Blick auf das Unionsrecht auf den Urlaubsanspruch angewendet werden könnten, auch wenn der Arbeitgeber den erforderlichen Hinweis- und Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachgekommen war.
Der Urlaubsanspruch ist sowohl in Artikel 31 Abs. 2 der Grundrechte-Charta, als auch in Artikel 7 der Richtlinie 2003/88 verankert und wird dabei aufgrund seiner Bedeutung für den Gesundheitsschutz als wesentlicher Grundsatz des europäischen Sozialrechts angesehen. Der Anspruch auf bezahlten Urlaub könne daher nur dann verloren gehen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Urlaubs hatte. Sofern diese Voraussetzung vorliegt, könne der Urlaub aufgrund entsprechender nationaler Regelungen beschränkt werden oder sogar ganz verfallen.
Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre und ist dabei grundsätzlich auch auf den Urlaubsanspruch anwendbar, gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt diese Verjährungsfrist mit Schluss des Urlaubsjahres. Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2013 wäre demnach bereits am 01.01.2017 verjährt. Eines der Hauptargumente für die Anwendung der Verjährung ist dabei die Rechtssicherheit und der Rechtsfrieden, welche spätestens nach drei Jahren für beide Seiten bestehen würden. Insbesondere aus Sicht der Arbeitgeber besteht dabei ein großes Interesse, nicht nach Jahren mit offenen Urlaubsansprüchen konfrontiert zu werden.
Entscheidung
Der EuGH erteilte der Anwendung der deutschen Verjährungsregelungen nun eine [vorhersehbare] Absage - zumindest in genau den Fällen, in denen den Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen wurde. Wie bereits in den vorherigen Entscheidungen stellte der EuGH hierbei zum einen auf das Kräfteungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab, weshalb die Aufgabe der Urlaubswahrnehmung nicht allein auf den Arbeitnehmer verlagert werden dürfe, zum anderen auf die immense Bedeutung des Erholungsurlaubs für den Gesundheitsschutz.
Bereits in der Max-Planck-Entscheidung von 2018 [C-684/16] wurden aus diesen Gründen die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers als wesentliche Voraussetzung für den möglichen Verfall des Urlaubsanspruchs angesehen. Ein Arbeitgeber, der diesen Verpflichtungen nicht nachkomme und seine Arbeitnehmer nicht ausreichend in die Lage versetze, den Urlaub vollständig wahrzunehmen, dürfe nun folglich nicht auch noch durch die Verjährung dieser Ansprüche einen Vorteil erlangen. Zwar sei die Gewährung der Rechtssicherheit durchaus als berechtigtes Interesse des Arbeitgebers und als Ziel der Verjährung anzuerkennen, sie dürfe jedoch nicht dazu verwendet werden, die versäumten Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bei der Urlaubswahrnehmung zu enthebeln und sich diesen zu entziehen. Unter Berücksichtigung des Kräfteungleichgewichts zwischen den Arbeitsparteien könne die Anwendung der Verjährungsregelungen in diesen Fällen zu einem nicht zu billigenden Verhalten führen.
Als Arbeitgeber könne man eine mehrjährige Ansammlung von Urlaubsansprüchen zudem durch Vorkehrungen aus eigener Hand unterbinden, indem man seinen Mitwirkungsverpflichtungen nachkommt. Auch hierdurch könne die bezweckte Rechtssicherheit gewährleistet werden, denn in diesen Fällen wird eine unbegrenzte Ansammlung ohnehin unterbunden.
Die Revision der Beklagten im Ausgangsfall dürfte durch das Bundesarbeitsgericht somit abgewiesen werden, wodurch der Klägerin entsprechend der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die dort zugesprochenen Urlaubstage erhält.
Weitere Entscheidung
Doch der EuGH hatte sich zugleich mit einer weiteren urlaubsrechtlichen Frage zu befassen. Bereits 2011 wurde entschieden, dass der Urlaubsanspruch bei einer Langzeiterkrankung bei Vorliegen entsprechender Regelungen nach 15 Monaten verfallen kann [EuGH „KHS“- Entscheidung - C-214/10]. Dies setzte jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer gerade aufgrund der Langzeiterkrankung nicht in der Lage war, den Urlaub überhaupt wahrnehmen zu können. Doch was ist, wenn der Arbeitnehmer zu Beginn des Jahres noch arbeitsfähig ist und erst dann die Langzeiterkrankung eintritt? Was passiert dann mit dem Urlaubsanspruch?
Der EuGH entschied nun, dass es für diese Frage ebenfalls auf die Erfüllung der Mitwirkungspflichten durch den Arbeitgeber ankomme. Denn nur durch diese könne der Arbeitnehmer wirklich in die Lage versetzt werden, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Sofern also der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nachgekommen ist und danach die Langzeiterkrankung eintrat könne der Urlaubsanspruch nach 15 Monaten verfallen. Sollte der Arbeitgeber diesen Verpflichtungen jedoch nicht ausreichend nachgekommen sein und war der Arbeitnehmer somit nicht in der Lage zur Urlaubswahrnehmung, so kann sich der Arbeitgeber nicht auf den Verfall des Urlaubsanspruchs berufen. Der Urlaub für dieses Jahr bleibt dem Arbeitnehmer somit auch über den Ablauf der 15 Monate erhalten.
Fazit
Die vorliegenden Entscheidungen des EuGH zum Urlaubsanspruch kommen nicht unerwartet. Bereits anhand der Entscheidungen der letzten Jahre war abzusehen, welche Gewichtung dem Urlaub im Rahmen des Gesundheitsschutzes und im Unionsrecht beigemessen wird und welche Aufgaben von den Arbeitgebern erwartet werden.
Grundsätzlich bleibt es eine einfache Rechnung: Kommen Arbeitgeber ihren Mitwirkungsverpflichtungen nach und ermöglichen ihren Arbeitnehmern somit die Urlaubswahrnehmung, so können die nicht genommenen Urlaubstage verfallen und können nicht über mehrere Jahre hinweg angesammelt werden. Kommen sie diesen Verpflichtungen jedoch nicht nach, steht einer Ansammlung der Urlaubstage weder ein Verfall, noch die Verjährung entgegen.